Corona und Hochsensibilität

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Jutta AdministratorKeymaster
Mein Name ist Jutta Jorzik-Oels, als Berater und Coach bin ich spezialisiert auf Hochsensibilität. Ich helfe hochsensiblen Menschen in Krisensituationen.

Seit einer Woche ist in Finnland der Notstand ausgerufen.

Das bedeutet, alle Menschen über 70 dürfen überhaupt keine Kontakte haben zu anderen, ausser zu Pflegepersonal. Besuche in Altenheimen und Krankenhäusern sind verboten.

Für alle unter 70 gilt: Kontakte weitestgehend einschränken, Kinder zu Hause behalten, öffentliche Verkehrsmittel meiden, wenn möglich im Homeoffice arbeiten. Spazierengehen ist allen, auch den Senioren, erlaubt; aber bitte allein!

Sämtliche Veranstaltungen und Kurse sind abgesagt; Schulen, Büchereien und Schwimmbäder, Oper und Theater geschlossen; selbst Gottesdienste dürfen nur online abgehalten werden.

Die Grenzen sind geschlossen; ausreisen konnten wir allerdings schon vorher nicht, da die Nachbarstaaten schon früher ihre Grenzen zugemacht hatten. Reisen im Inland bitte nur in dringenden Notfällen.

Soviel also zur aktuellen Situation, die mittlerweile nicht nur in Europa, sondern fast weltweit genau so ist.

Insgesamt kommt ja hier alles einige Wochen später an; sowohl der Frühling als auch die ersten Covid19-Erkrankungen und eben auch die politischen Massnahmen, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen.

 

In meinem Bewusstsein kam die Krise vor etwas mehr als 2 Wochen an. Meine Reaktion darauf war absolut typisch; nämlich typisch hochsensibel:

Ich reagierte mit Betroffenheit. Denn ich nahm deutlich das Angstfeld wahr, das sich wie dichter Nebel immer mehr auf uns senkte. Sehr schnell merkte ich, dass diese Angst nicht meine Angst ist. Ich nahm die Sorgen und Bedrängnis um mich herum wahr. Und ich machte mir viele Gedanken über die Alten und Einsamen was die Isolation für sie bedeutet. Über das Leiden derjenigen, die im Krankenhaus allein sterben, ohne sich von ihren Liebsten verabschieden zu dürfen. Über  die Kinder, die sich viele Wochen auf ihren Geburtstag gefreut haben und ihn nun nicht mit ihren Freunden feiern dürfen. Ich dachte an die Grosseltern, die ihre Enkel nicht sehen dürfen. An die Kleinunternehmer, die sehr bald in Konkurs gehen werden. An die Ärmsten in der Gesellschaft, die Bettler auf der Strasse und die Obdachlosen.

Dann überlegte ich, was ich tun kann; wie ich dazu beitragen kann, das Leiden der Betroffenen ein klein wenig zu lindern.

Damit verging eine Woche.

So lange dauerte es auch in etwa, bis sich die ganzen Vorsichtsmassnahmen und Verhaltensregeln hier in meiner Umgebung so weit herumgesprochen haben, dass sie tatsächlich befolgt werden.

 

Danke, dass ihr Abstand haltet!

Dann geschahen einige Dinge gleichzeitig: Plötzlich hielten die Menschen Abstand zu mir, wenn ich mit den Hunden unterwegs war! Und zur selben Zeit erhielt ich täglich jede Menge Anrufe von Menschen, die ich höchstens zwei mal im Jahr treffe, alle mit derselben Frage: Wie geht es dir mit dieser Situation, mit dieser Isolation?

Danke für die Nachfrage, ihr Lieben! Denn erst da begann ich, mal zu spüren, wie es mir geht, was ich fühle unter dem Mitgefühl für die anderen.

Was macht das Coronavirus mit mir?

Wer mich kennt, weiss, dass ich nicht zynisch bin. Ich fühle zutiefst mit den Menschen in Norditalien mit. Aber ich überlegte ernsthaft, diesen Beitrag „Danke Coronavirus“ zu nennen. Aus Rücksichtnahme auf die Schwererkrankten und Angehörigen von daran Verstorbenen habe ich darauf verzichtet.

Ich geniesse es so, dass die Leute draussen Abstand halten! Dass mir auch im Supermarkt niemand zu nahe kommt! Einer meiner Hunde hat furchtbare Angst vor Radfahrern; jahrelang mussten wir ausweichen. Bitten, nicht zu nahe zu kommen, wurden verständnislos ignoriert. Endlich rast keiner mehr so nah vorbei, dass er meinen Mantelsaum fast streift!

Vor einigen Tagen hörte ich einen neuen Slogan:

Abstand ist der neue Anstand.

Das ist so wunderbar; wie wünschte ich mir, dass das so bleiben würde!

Und wie geht es mir mit den massiv eingeschränkten Kontakten?

Ganz ehrlich?

Für mich hat sich fast nichts geändert. Ich treffe eher selten Freunde/Bekannte. Und wenn, dann nicht unbedingt im Cafe; weil da ist es oft sehr wuselig und vor allem im Winter zieht es überall, was ich nicht ausstehen kann.

Da ich einkaufen gehen hasse, und noch mehr das Gedränge im Laden, bin ich immer schon dann in den Supermarkt gegangen, wenn es leer ist.

Es fallen 2 bis 3 Gruppentreffen weg, bzw finden die nun digital statt. Das finde ich jetzt nicht wirklich schlimm, denn ich spare die nervigen Fahrten.

Doch, etwas hat sich geändert: Via Telefon und Videotelefon habe ich jetzt viel häufiger Kontakt zu Freunden und Verwandten als vor der Krise!

 

Ich empfinde mit der ganzen Welt

 

Corona weckt Verständnis für Hochsensibilität

Danke für eure Nachfragen, wie ich mit der Situation zurechtkomme, ihr Lieben!

Von Kindheit an weiss ich, dass ich anders ticke als die meisten anderen Menschen.

In dieser Krise aber wird mir wieder so richtig bewusst, wie sehr! Mir war nicht klar, wie sehr neurotypische Menschen leiden bei eingeschränkten Sozialkontakten,  mit denen Hochsensible sich erst richtig wohl fühlen.

 

Neue Qualitäten

So hiess ein Abschnitt in einem Beitrag, den ich vor einem Jahr schrieb:

Ist Hochsensibilität die Kultur von morgen?

Merkwürdig genug, schrieb ich diesen Artikel spontan aufgrund eines astrologischen Impulses, der eine Zeitenwende ankündigte. Das erscheint nun fast prophetisch, denn da ging es um typische hochsensible Eigenschaften, die immer mehr Menschen entwickeln werden.

Die Coronakrise hat nicht zuletzt durch die wirtschaftlichen Folgen derart tiefgreifende Wirkungen auf die ganze Gesellschaft, dass jetzt schon klar ist:

Nichts wird je wieder so sein wie zuvor.

Viele andere empathische Menschen haben ebenfalls dieses oben erwähnte Corona-Angstfeld gespürt und sind der Angst mit Liebe entgegengetreten.  Und auf einmal ist eine neue Form der Nähe entstanden, wo keine war: Menschen fragen sich, wie es dem Nachbarn geht, der das Haus nicht verlassen darf. Plötzlich gibt es überall viele Hilfsangebote; ja, das Angebot ist grösser als die Nachfrage!

Die Menschen haben begonnen, ihren Nächsten wahrzunehmen und brüderlich zu denken – sie fühlen sich verbunden mit Menschen, mit denen sie bisher wegen anderer Weltanschauungen, Erziehungsvorstellung, sozialen Unterschieden nie etwas zu tun hatten!

Das sind aber alles typisch hochsensible Eigenschaften!

Das ist der zweite Grund, warum es mir gerade so gut geht: die Welt ist ein wenig menschlicher , ein bischen empathischer geworden.

Und darum bin ich geneigt, zu sagen: Danke, Coronakrise.

Denn bei  allem Leid, welches Einzelne trifft, tut es der Welt gut, mehr Empathie zu entwickeln.

Wenn das eine Folge der Pandemie ist, dann trifft für das Coronavirus zu, was Goethe im „Faust“ Mephistopheles zu Dr. Faust sagen lässt:

„Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Mehr zum Thema in meinem Grundlagenwerk über Hochsensibilität:

 

2 Gedanken zu „Corona und Hochsensibilität

  1. Liebe Jutta,
    hier schreibt Gerhard (59). Vor ca. fünf Jahren habe ich das Thema Hochsensibilität entdeckt und mich darin wiedergefunden. Und ich freue mich über alle Neuigkeiten dazu.
    So fand ich Deinen Beitrag „Corona und Hochsensibilität“. Es war schön zu lesen, dass da jemand die gleiche Reaktion erlebte wie ich. Als im Frühjahr der „harte Lockdown“ verhängt wurde, sagte ich mir: „Diese Regelungen treffen mich eigentlich gar nicht, ich kann fast so weiterleben wie bisher.“ Lediglich das Aufsuchen von Geschäften mit nicht notwendigem Sortiment (Sportgeschäfte, Fahrgeschäfte usw. usw.) entfällt eine Zeit lang. Wer gern allein unterwegs ist, vermisst nichts, wenn weitere Kontakte stark eingeschränkt sind, und: genießt den Abstand, genauso wie Du es beschrieben hast.
    Gleichzeitig auch der Gedanke: „Aber die armen Leute in der Gastronomie, dem Tourismus, in der Kulturszene, im Bereich Messe und anderer Großveranstaltungen – stehen vor sehr großen Problemen.“ Zuletzt hatte ich beruflich telefonisch mit einer Dame zu tun, die sich in den letzten 20 Jahren selbstständig ein erfolgreiches Reisebüro aufgebaut hatte. Praktisch keine Arbeit mehr, von heute auf morgen. Diese Menschen haben mein volles Mitgefühl.
    Als geübter Eremit habe ich oft die Menschen mit großem Freundeskreis beneidet, wie sie jeden Tag jemand anderes treffen um gemeinsam etwas zu unternehmen. Es ist mir auch bewusst, dass mir mehr Sozialkontakte guttun und mich auch davor bewahren würden, immer mehr zum Sonderling zu werden, aber … Stimmt das überhaupt? Ich bin absichtlich viel allein – und kein bisschen einsam. Es ist eben meine Lebensart.
    Viele Grüße
    Gerhard

    1. Lieber Gerhard,
      herzlichen Dank für Dein Feedback! Dieser Beitrag ist ja vom Frühling, inzwischen leben wir im 2. Lockdown – ich selbst fühle mich inzwischen auch wie ein Eremit und fühle mich nicht einsamer als sonst auch. – Was ich wahrnehme, ist, dass die Diskrepanz jetzt zu denen, die massiv leiden unter den Einschränkungen, jetzt viel grösser ist als im Frühling. Mehr denn je erlebe ich, dass ich – bzw. wir, die wir so empfinden, in einem Paralleluniversum leben.
      Herzbewegte Grüsse, Jutta

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