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Neulich saßen wir mit unserer Freundesclique zusammen und tauschten Neuigkeiten aus.
Eine Frau, nennen wir sie Ulrike, berichtete vom Tod ihrer Tante, der ihr sehr zu Herzen gegangen war.
Wir sprachen ihr unser Beileid aus, zeigten Mitgefühl. Daraufhin erzählte sie erstaunt, dass wir die ersten seien, die Verständnis für ihre Trauer hatten!
Die Tante war zwei Monate zuvor gestorben. Schon nach wenigen Tagen war Ulrikes Trauer, die ein enges Verhältnis zur Tante gehabt hatte, stark kritisiert worden.
Aussagen wie „Sie war doch schon alt“, „es war doch nur eine Tante“, „jetzt hast du 3 Tage getrauert, nun reichts“ ließen Ulrike an sich selbst zweifeln. Was stimmt mit ihr nicht, dass ihr auch nach Wochen noch Tränen kamen, wenn sie an die geliebte Tante dachte?
Sie behielt ihre Gefühle wohlweislich für sich. Ihrer Kollegin fiel auf, dass sie nicht mehr so fröhlich war. Die Aufforderung „Hey, was guckst du denn so ernst, lach mal wieder!“, löste in Ulrike Schuldgefühle aus.
Das alles brach bei unserem Treffen aus ihr heraus. Die Tränen, die sie nun endlich zeigen durfte, flossen. Ulrike fragte nach unserer Meinung. War es falsch, um eine Tante zu trauern, die immerhin 80 Jahre alt geworden war? Oder war es falsch, seine Gefühle zu zeigen?
Trauer hilft, den Abschied zu verarbeiten
Lass dir Zeit! Lasse dir vor allem deine Trauer nicht klein reden! Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst!
Gib dich der Trauer hin. Erlaube dir, den Schmerz in seiner ganzen Tiefe zu spüren. Weine, schreie laut, wenn dir danach ist.
Je tiefer du in deine Trauer einsteigst, desto eher verwandelt sie sich, desto eher kannst du loslassen.
Lass dich nicht ablenken von deinen Gedanken. Frage nicht „wie lange dauert diese intensive Trauer noch“, oder „Mein Gott, jetzt geht das schon zwei Monate so, ist das noch normal?“!
Bleibe im Fühlen, bleibe mit deinem Gefühl im Hier und Jetzt!

Trauer und Depression
Eine tiefe Trauerphase ähnelt einer klassischen Depression: In beiden Fällen sind typische Symptome Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Lustlosigkeit. Wirst du mit diesen Symptomen bei einem Psychiater vorstellig, fragt er deshalb als erstes, ob du kürzlich einen Schicksalsschlag erlitten hast. In einer akuten Trauerphase wird keine Depressionsdiagnose gestellt! Falls dein Hausarzt oder ein nicht psychiatrisch ausgebildeter Facharzt von einer Depression spricht, lehne auf jeden Fall die Verwendung von Psychopharmaka ab!
Mit Psychopharmaka die Trauer zuzudecken, ist nicht ungefährlich, sie können in eine echte Depression führen.
Ein Heilpraktiker mag dich mit Blütenessenzen unterstützen, vor allem, wenn du starke physische Symptome hast.
Dein Gefühl hat immer Recht
Du hast das Recht auf deine Gefühle!
Es gibt keine richtigen oder falschen Gefühle. Niemand hat das Recht, dir deine Gefühle auszureden.
Was auch immer du fühlst, lass dich nicht beschwichtigen.
Die Dauer der Trauerphase hängt von deiner Persönlichkeit ab und natürlich vom Gegenstand der Trauer.
Niemals solltest du Scham oder gar Schuldgefühle entwickeln, weil du trauerst!
Immer wieder stelle ich fest, dass die Menschen Angst haben vor Gefühlen.
Woher kommt das?

Noch immer leiden wir unter den kollektiven Kriegstraumata unserer Vorfahren. Die Generation der aktiv am 2. Weltkrieg Beteiligten war ja bereits entweder durch eigenes Erleben des 1. Weltkriegs belastet, oder durch das Kriegstrauma der Eltern. Nach 1945 waren in ganz Europa (einschliesslich der neutralen Länder!) alle Menschen schwerst traumatisiert. Über Jahrzehnte wurde das Erlebte verdrängt. Die Zeit zwischen 1930 und 1945 wurde noch bis in die Generation der Kriegsenkel im Geschichtsunterricht nicht erwähnt.
Spätestens damals wurden Gefühle wie Trauer, Schuld und Scham tabuisiert.
Aber wenn ich Werken der klassischen Literatur* Glauben schenken darf, die ein deutliches Bild der Kultur im 17., 18. und 19. Jahrhundert zeichnen, hatte das Unterdrücken von Gefühlen und vor allem das Nicht-Äußern von Gefühlen bereits eine lange Tradition.
*z.B. Thomas Mann „Buddenbrooks“
Gefühle schützen
Das Wahrnehmen und Durchleiden von schmerzhaften Gefühlen schützt unsere Seele.
Das Aushalten und Erleben schützt sowohl vor seelischer Erkrankung als auch vor allem vor einem Abgleiten des Seelenlebens in unerträgliche Oberflächlichkeit, wie sie mittlerweile schon fast der Norm entspricht.
In sämtlichen Medien mit Ausnahme ganz weniger alternativer Printmedien stellt man Flucht in Äußerlichkeiten fest. Ernste Dinge werden hinter Spaß und Bedeutungslosigkeiten versteckt.
„Wer gewinnt die Kochshow? – Sehe ich gut genug aus?“
Tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass die Seele derjenigen, die sich tagtäglich mit solchen Dingen beschäftigen, auf Dauer zerrüttet werden.
Trauer schmerzt – aber Schmerz ist besser, als nichts zu fühlen!
Und je tiefer du zu leiden vermagst, desto tiefer kannst du auch Liebe, Glück und Freude empfinden.
lies dazu auch: Fühlst du deine Gefühle?









