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Am liebsten würde ich sagen, hochsensible Menschen sind eine eigene Rasse.
Aber das wäre nun der Gipfel der Unwissenschaftlichkeit. – Ich habe schon oft gesagt bzw. geschrieben, ich forsche am Thema Hochsensibilität. Das muss ich nun berichtigen: Ich forsche nicht. Forschung ist den Wissenschaftlern vorbehalten und geschieht stets nach streng vorgegebenen wissenschaftlichen Kriterien, damit kann ich nicht dienen; und will es auch nicht; denn ich empfinde diese Kriterien als zu eng; vor allem bei einer solchen Thematik, die naturwissenschaftlich gar nicht fassbar ist.
Also: ich recherchiere. Das kann ich mit Fug und Recht behaupten. Recherchieren heisst, persönliche Feldforschung zu betreiben.
Wortklauberei? Vielleicht, aber darum geht es ja gerade: Um die Klärung der Begriffe!
Elaine Aron und die „Highly Sensitive Person“
Da hat sie uns was schönes eingebrockt! Wunderbar – sie hat diesem Phänomen einen Namen gegeben und als Erste begonnen, HS systematisch zu erforschen. Dafür gebührt ihr unser aller Dank! Denn erst durch ihre Arbeit können wir unser Anderssein mit Namen nennen, gewisse Symptome klassifizieren. – Anders als die Entdeckung eines… hm.. beispielsweise Vitamins…. ist aber damit ja nicht die Forschung an der Sache abgeschlossen, sondern beginnt erst. Und so ist jetzt, im Jahr 2017, 21 Jahre nach der ersten Veröffentlichung von E. Aron über Hochsensibilität, die Forschung immer noch in den Kinderschuhen. Und natürlich forschen längst auch andere daran, nicht nur Elaine und Arthur Aron.
Ist das nicht grossartig? – Nur bedingt. Denn, soweit ich informiert bin (und das bin ich ziemlich gut auf dem Gebiet), beziehen sich sämtliche Forscher auf die Arbeit von Aron. Das heisst, sie führen die Arbeit fort, ohne irgendetwas in Frage zu stellen.
Wer schon länger meine Artikel liest, hat längst gemerkt: In mir wohnt eine Ketzerseele. (Das ist ein anderes Thema, aber eine sehr relevante Frage an euch HSM: Wie viele von euch sind ebenfalls Ketzer? Denn das heisst ja nichts anderes, als die Dinge in Frage zu stellen. Möglichst bis auf den Grund. Das aber sind typische HS Eigenschaften!)
Damit versteht ihr auch, warum ich nicht als Wissenschaftler tauge nach wissenschaftlichen Kriterien: Weil ich alles hinterfrage.
Zurück zu Elaine Aron. Bereits in anderen Beiträgen habe ich mich kritisch geäussert über den von ihr entwickelten Test. Dieser Test ist von vielen Therapeuten und Psychologen etwas differenziert worden, aber nicht wirklich geändert.
Über dieses Problem habe ich lange nachgedacht. Könnte ich oder sonst jemand denn einen besseren Test entwickeln?
Nein, das könnte ich nicht! Sondern ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass HS sich mit gängigen Testmethoden überhaupt nicht testen lässt!
Das Problem mit der Kommunikation
Was siehst du auf diesem Bild? Rot, da sind wir uns bestimmt alle einig. Nur, was sagt denn das bitte schön aus? Sehr wenig. Wir haben gelernt, eine gewisse farbliche Erscheinung „rot“ zu nennen. Das ist eine Übereinkunft. Niemand weiss, wie das Rote im Auge des andere abgebildet wird. Geschweige denn, wie es wirkt. Einer mag rot, der Andere nicht. Einer mag nur dieses spezielle Rot, der Andere zieht jenes vor. Wer weiss, was wir sehen würden, was für eine Farbe, wenn wir in die Augen eines anderen hineinschlüpfen könnten! (Wobei es nebenbei bemerkt speziell bei diesem Beispiel Farben interessant ist, dass Kinder in der Regel die Namen der Farben erst sehr spät lernen, oft erst mit 5 Jahren; während andere, abstrakte Begriffe schon sehr viel früher verstanden werden.)
Die Beantwortung der Testfragen hängt aber vor allen Dingen davon ab, was bestimmte Begriffe für mich bedeuten.
Nehmen wir Frage 1 des Aron Tests: „ Ich fühle mich leicht überwältigt von starken Sinneseindrücken.“ –
Der einzig klare Begriff, der sich zumindest definieren lässt, ist „Sinneseindrücke“. Aber stark? Was ist stark in dem Zusammenhang? Und noch schwieriger: was ist überwältigen?
Worauf ich hinaus will, ist die Tatsache, dass hochsensible Menschen anders kommunizieren als Normalsensible. Das heisst, dass sie oft Begriffe anders verstehen und kommunizieren. Es ist bekannt, dass HSM sich häufig unverstanden fühlen. Das bedeutet keineswegs nur, dass der NSM zum HSM sagt „nimm dir das doch nicht so zu Herzen“, sondern dass viel häufiger die Gedankengänge des HSM in keiner Weise nachvollzogen werden können. Das mag noch angehen, wenn der NSM sagt „ich verstehe nicht, was du meinst“. Häufig aber ist es so, dass der NSM gar nicht merkt, dass der HSM etwas völlig anderes meint, als er es versteht. Er sagt vielleicht „genau“, und der HSM merkt nicht, dass er gar nicht verstanden wurde… Das Missverständnis ist perfekt. Es kommt tatsächlich vor, dass HSM und NSM im Zusammenleben jahrelang auf diese Weise aneinander vorbei reden, ohne dass es ihnen bewusst wird. Das ist häufig der Grund, warum HSM in der Beziehung mit einem NSM auf unbestimmte Weise unglücklich ist, ohne sich über die Ursache bewusst zu sein. Oder beide sind sich im Klaren über ihre Kommunkationsprobleme, haben aber keine Ahnung, woran das liegt. Und kommen vielleicht tragischerweise zu dem Schluss, dass sie einfach nicht zueinander passen.
Und wenn HSM und NSM über den Test diskutieren, kommt es logischerweise zu genau solchen Missverständnissen. Eine Leserin schrieb: „…… bei dem Test waren alle ihrer sämtlichen Bekannten, Freunde, Verwandten…. zu 100% hochsensibel….“ , was ja mehr als unwahrscheinlich ist.
Oft wird zusammenfassend gesagt: HSM nehmen mehr wahr. Was heisst „mehr“? Mehr in der Quantität? Sehe ich als HSM 20 Blumen auf der Wiese, wo ein NSM 10 oder 15 sieht?
Oder mehr in der Qualität? Sehe ich genau so viele Blumen, aber unterscheide ich auf Anhieb die Form der Blütenblätter und der NSM nicht?
Und wie sieht es bei Gefühlen aus? – Ein hochsensibler Mann schrieb einmal in einem HS-Forum; es sei doch klar, dass er immer mehr leidet in der Beziehung mit einer NS Frau, da er als HsM immer mehr liebt; die Menge der Liebe grösser ist. Ich halte diese Interpretation von „mehr“ für
Ein Missverständnis
Nein, ich glaube nicht, dass HSM in der Quantität mehr Gefühle haben. Was ich dagegen glaube, ist, dass jedes Gefühl einzigartig ist. Ich liebe meinen Sohn, meine Tochter, meinen Enkel, meinen Partner, meine Hunde……und jede dieser Lieben ist einzigartig, mit keiner anderen zu vergleichen. Jeder Schmerz, jedes Glück ist wie ein individuelles Wesen.
Was ist denn der Unterschied im Fühlen zwischen HSM und NSM?
Vielleicht dies: Denke dir 2 Blumentöpfe. Beide sind exakt gleich gross, gleich geformt, gleich schwer. Haben dasselbe Fassungsvermögen. Beide sind aus gebranntem Ton, aber der eine ist glasiert, der andere nicht. Wenn man nun in beide dieselbe Menge Wasser füllt und eine Stunde stehen lässt und es dann wieder heraus giesst, merkt man den Unterschied: Schüttet man den glasierten Topf aus, bleibt natürlich ein winziger Rest Wasser darin, das kann man mit einem Tuch leicht wegwischen, wenn man ihn nicht an der Luft trocknen lassen will. Der unglasierte Topf jedoch ist nach dem Ausgiessen des Wassers etwas schwerer als vor dem Befüllen, denn der Ton hat sich vollgesogen mit dem Wasser. Er hält diese Feuchtigkeit für lange Zeit und gibt sie nur sehr allmählich wieder ab.
Genau so wie das Wasser auf Ton wirken Gefühle und Sinneseindrücke auf HSM. Sie werden intensiver, bis in ganz andere Wesensschichten aufgesogen; verbleiben und wirken dort lange Zeit.
Noch einmal zurück zum Thema Test:
Kann man Hochsensibilität überhaupt testen?
Nicht mit herkömmlichen Testverfahren, in denen vorgegebene Fragen mit ja-nein beantwortet oder im Multiple Choice Verfahren angekreuzt werden. Wenn überhaupt, dann wäre das nur möglich in langen, analysierenden Gesprächen. Und warum macht man es so nicht? Zurück zum Anfang: Die wissenschaftlichen Kriterien! Ein Gespräch entspricht niemals den wissenschaftlich geforderten Standards, kann niemals exakt sein.
Fertig ist der Teufelskreislauf. Denn E.Aron ist Wissenschaftlerin. Und ausser ihr und ihrem Mann, die an dem Phänomen HS forschen, gibt es noch eine Reihe anderer Psychologen, die danach streben, dass das Konzept HS wissenschaftlich anerkannt wird. Die Chance darauf besteht nur, wenn man sich diesen Standards beugt.
Ein anderer Nachteil der herkömmlichen Testverfahren liegt darin, dass demnach sich viele Menschen selbst als hochsensibel einstufen. Vermutlich genau etwa 15-20%, so hoch ist angeblich der Anteil von HSM in der Bevölkerung. Ich behaupte, der Anteil ist sehr viel geringer.
Und während einerseits Aron der Welt den Begriff und das Phänomen der „Highly Sensitive Person“ schenkte, legte sie mit ihrem Test gleichzeitig den Grundstein für unendlich viele Missverständnisse darüber, was Hochsensibilität ist und ausmacht.
Vor allem aber finden eine ganze Reihe Eigenschaften gar keine Erwähnung – und das ist die eigentliche Tragik.
Eigenschaften, die unerwähnt bleiben
Eine der wichtigsten Eigenschaften von Hochsensiblen Menschen ist , dass sie Synergetiker sind.
( Wikipedia: Die Synergie oder der Synergismus (griechisch συνεργία synergía, oder συνεργισμός synergismós, „die Zusammenarbeit“) bezeichnet das Zusammenwirken von Lebewesen, Stoffen oder Kräften im Sinne von „sich gegenseitig fördern“ bzw. einen daraus resultierenden gemeinsamen Nutzen.)
Ganz typisch ist auch das sehr ausgeprägte Empfinden für Gerechtigkeit.
Unbedingte Loyalität, bei der oft die Schmerzgrenze überschritten wird.
Ausserdem gibt es auch Charakterzüge, die bei HSM gar nicht vorkommen:
Pragmatismus – ein HSM handelt immer idealistisch.
Opportunismus – ebenso.
Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Denken – absolutes NoGo für HSM.
Nur, damit mich niemand falsch versteht:
Das heisst nicht, dass Hochsensible per se die besseren Menschen sind, nur weil sie loyal, meist mitfühlend und unpragmatisch sind. Nein, sie können ganz gewiss genau so egoistisch handeln wie alle Menschen. Aber es kann sein, dass sich der Egoismus von HSM in anderen Dingen zeigt und auch auf andere Weise.
Aber das wäre wieder ein anderes Thema.
*Lesetipp: https://hauptsacheherzbewegt.de/hochsensibilitaet-was-genau-ist-das-eigentlich/
https://hauptsacheherzbewegt.de/ist-hochsensibilitaet-eine-gabe/
https://hauptsacheherzbewegt.de/hochsensibel-oder-hochempfindlich/
2 Gedanken zu „Hochsensibilität ist mehr als hochsensibel sein“
Hallo, vielen Dank für diesen Text und ein anderes und öffentliches Bild für hsp. :).. Ich habe aber die Anmerkung und gleichzeitig Frage, wie es mit der Kommunikation zwischen hsps ist. Denn auch da ist jede Wahrnehmung sehr subjektiv und ich habe fast das Gefühl, dass es genauso, wenn nicht noch komplizierter werden kann, sich gegenseitig wirklich so zu sehen wie man ist, so zu akzeptieren, den anderen ehrlich zu spiegeln, bei sich zu bleiben und die eigene Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig doch die Beziehung zu bejahen und einzugehen. ?? Es geht bestimmt wieder um Abgrenzung, gnädig sein mit sich und anderen und sich selbst wahrnehmen, nicht nur die anderen. Ich bin trotzdem über Ideen zur Umsetzung und neue Anregungen sehr dankbar. 🙂 liebe Grüße Lisa
Liebe Lisa,
Du hast recht, dass eine Beziehung zwischen zwei HSM ihre eigenen Tücken hat. Letztendlich weiss ja niemand, was und wie der andere genau wahrnimmt. Wir haben nur alle gelernt, bestimmte Begriffe zu benutzen. Wie sieht man das Gesicht eines bestimmten Menschen? Letztendlich ist die Sprache so grob. „Du hast blaue Augen“. – Die Gesichtsfarbe- wie nimmst du sie wahr? Manche sagen hautfarben. Und was heisst das? Siehst du den Schimmer der Haut, vielleicht die Aura?Du weisst niemals, was der andere sieht. Dennoch ist die Kommunikation zwischen zwei HSM meist einfacher, denn erstens hilft beiden die Intuition zu verstehen, was der andere meint, und viele Stolpersteine sind durch die gleiche Art der Kommunikation ausgeräumt. Liebe GRüsse, Jutta