Es ist Jahr 2 der Covid Pandemie. Ein neuer eisiger Wintertag beginnt. Dick eingepackt fahre ich mit meinen beiden Gefährten hinaus auf die Felder.
Wir steigen aus dem Auto aus und sind plötzlich in einer anderen Welt, nur 5 km von unserem Zuhause entfernt.
Das erste, was ich wahrnehme, ist diese atemberaubende Schönheit. Mir stockt der Atem. Als nächstes bemerke ich die Stille, die vollkommene Stille. Wir gehen einige Schritte hinaus aufs Feld, vorsichtig; es kommt mir vor, als betreten wir etwas Heiliges.
Nichts bewegt sich um uns herum. Keine einzige der sonst so zahlreichen Krähen ist zu sehen; nicht mal Hasenspuren. Es ist so kalt, dass mein Körper sich nach sehr kurzer Zeit völlig taub anfühlt. Ich bleibe stehen und schaue mich um.
Da ist ein junger Baum, bedeckt mit glitzernden Eiskristallen, starr wie eine Skulptur. Weiter hinten am Waldrand stehen die Bäume starr und stumm wie eisgeschmückte Säulen.
Wann habe ich zuletzt solche Schönheit gesehen? Aber alles ist starr und: tot.
Das ist der Tod!
Die Natur ist gestorben, das Leben hat sich vollständig zurückgezogen und ist in den Kältetod gegangen. Nur der Tod erscheint in solcher Erhabenheit!
Wir nähern uns den erstarrten Bäumen voller Ehrfurcht. Auch die Hunde spüren den Zauber, sie bewegen sich sehr langsam und sehr still.
Die Sonne steht wie eine Scheibe über dem Horizont; sie schenkt Licht, aber keine Wärme – als wäre sie nur ein Bild.
Ein kleines Bäumchen glitzert auf in ihrem Licht, bedeckt von tausenden und abertausenden Eisperlen. In diesem Moment wird mir bewusst:
Der Tod macht alles neu. Nach dem Tod kommt die Neugeburt.
Dieser kleine Baum ist in Todesstarre, aber er weiss, dass das Leben wieder erwacht.
Der Tod bringt neues Leben hervor!
Ich sehe den Baum an und erkenne in ihm die Hingabe und das Vertrauen, mit dem er diesen Tod angenommen hat. Er weiss, dass das nur eine Übergangsphase ist vor dem neuen Leben, in dem wieder Wärme, Bewegung, und farbiges Blühen sein wird. Er ist nur in einem anderen Stadium des ewigen Seins, und er weiss, dass er ganz bald schon wieder zum Leben erweckt wird; schöner, prächtiger, vollendeter als zuvor!
Und ich nehme die Liebe wahr, die in all dem ist. Die Liebe des Winters, der den Tod bringt. Die Liebe des Todes. Die Liebe der Bäume und der ganzen Natur. Die göttliche Liebe in diesem ganzen Plan.
Mir kommen die Tränen, ich löse meinen Blick von dem Baum und schaue zum Horizont. Und da ist sie wieder:
Die Säule aus regenbogenfarbenem Licht, den Eisbogen, der fast senkrecht von den Bäumen zum Himmel aufsteigt.
Ich habe keine Worte für meine Empfindungen. Es ist mehr als Staunen, mehr als Ehrfurcht. Meine Gedanken rasen als chaotische, riesige bewegliche Bilder vor meinem inneren Auge. So schnell, dass ich sie kaum erhaschen kann. Aber ich weiss mit absoluter Sicherheit:
Alles, alles, was geschieht, gehört zum grossen Plan. Die Welt ist fürchterlich in Unordnung geraten. Die Ordnung muss wiederhergestellt werden! Und alles geschieht aus Liebe. Aus Liebe zu allem was lebt.
Ich empfinde tiefen Frieden und eine unsagbare Dankbarkeit.
Wir gehen zum Auto zurück, steigen ein. Meine Finger sind so starr, dass ich kaum den Zündschlüssel ins Schloss bekomme. Doch schliesslich gelingt es mir, den Motor zu starten, und damit kommt ein wenig Wärme.
Es wird langsam etwas wärmer, und die Starre in meinen Gliedern beginnt nachzulassen. Das Leben kehrt zurück in Hände, Gesicht, Füsse; das Blut fliesst wieder durch die Finger. Das schmerzt, sehr sogar; erst jetzt wird mir bewusst, wie kalt ich war.
Je mehr die Kältestarre mich los lässt und mein Körper wieder funktioniert, desto stärker fliessen meine Tränen. Nein, nicht vor Schmerzen –
vor Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass ich an der universellen, bedingungslosen göttlichen Liebe teilhaben durfte. Und ich weiss mit unumstösslicher Gewissheit: Alles ist gut.
ALLES. IST. GUT.