4 wichtige Zutaten für eine Beziehung

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Jutta AdministratorKeymaster
Mein Name ist Jutta Jorzik-Oels, als Berater und Coach bin ich spezialisiert auf Hochsensibilität. Ich helfe hochsensiblen Menschen in Krisensituationen.

Was macht aus einer gelegentlichen Begegnung eine Beziehung?

Als Grundlage nehme ich hier die relativ berühmte Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow (einem Psychologen, der von 1908–1970 gelebt hat). In dieser kommt, in Reihenfolge der Wichtigkeit folgende Bedürfnisse des Menschen: Existentielle Bedürfnisse & Überlebensmechanismen, Sicherheit, Sozialbedürfnis, Anerkennung, Wertschätzung, Selbstverwirklichung.

Hier auch als eben jene Pyramide veranschaulicht:

 

Selbstverwirklichung

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Anerkennung, Wertschätzung

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Sozialbedürfnis

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Sicherheit

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Existentielle Bedürfnisse, Überlebensmechanismen

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Zuerst muss das Überleben gesichert sein: Das Bedürfnis nach Nahrung, Schlaf, Wasser, Wärme muss als erstes befriedigt werden.

Die zweite Stufe ist das Bedürfnis nach Sicherheit. Maslow versteht darunter Schutz,  Stabilität,  Geborgenheit, Freiheit von Angst; aber auch das Verlangen nach Strukturen, Ordnungen und Regeln.

Erst danach kommen die Bedürfnisse nach Gemeinschaft, nach sozialen Kontakten und Liebe! Es folgt das Verlangen nach Wertschätzung, und die oberste Stufe schliesslich ist die Selbstverwirklichung.

 

Das Entscheidende an dieser Pyramide ist:

Erst wenn das jeweils untere Bedürfnis befriedigt ist, erwacht überhaupt das Verlangen nach dem nächst höheren.

Um es ganz krass mit Brechts Worten auszudrücken:

 

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“

Die hier wirkenden Mechanismen sind bekannt von Gefangenenlagern; auch von Strassenkindern in Lateinamerika weiss man, dass ihnen kein Risiko zu hoch ist, um ein wenig Nahrung zu ergattern. Das ist auch der Grund, dass  Kinder, die im Elternhaus jahrelang vernachlässigt wurden und nicht genug zu essen bekamen, auch später in Pflegefamilien Essen horten und mitgehen lassen, wo immer sich etwas Essbares findet.

Aber gehen wir mal davon aus, dass  das Überleben hier im Prinzip gesichert ist. Für den Aufbau einer Beziehung spielt diese Stufe zumindest in unserer Hemisphäre heutzutage wohl keine Rolle (mehr).

 

Die nächste Stufe:

 

Das Bedürfnis nach Sicherheit

Ist fast so grundlegend wie der Überlebenswille, und ich behaupte, dass der Übergang zwischen der untersten und der zweiten Stufe fliessend ist. Aber während normalerweise Überlebensmechanismen für eine Beziehung keine Bedeutung haben, ist Sicherheit  eines der grundlegenden Bedürfnisse jeder Beziehung!

Es mag vielleicht erstaunen, aber in der Heilpädagogik und in der Psychotherapie ist seit langem bekannt, dass nicht die Kinder die schwersten Traumata erleiden, die keine echte Mutterliebe erhalten haben, sondern diejenigen, die das Verhalten der Mutter (oder der Hauptbezugsperson) nicht einschätzen können. Ein Säugling, der lieblos versorgt wird, hat als Erwachsener wesentlich bessere Chancen, die erlittenen Verletzungen zu heilen, als ein Säugling, der diese Woche auf liebevolle Weise umhegt und beschmust wird und nächste Woche allein und verlassen in einer Ecke liegt, keine Nahrung und saubere Windeln bekommt – so lange, bis mal wieder eine gute Phase kommt und er nur auf dem Arm gehätschelt wird.

Ein Mensch, dessen Sicherheitsbedürfnis schon in der ersten Beziehung seines Lebens nicht befriedigt wurde, braucht auch als Erwachsener mehr und stärkere Sicherheitsbeweise als jemand, der als Kind Sicherheit erlebt hat.

Aber was heisst Sicherheit in einer Paarbeziehung? Mit welchen Verhaltensweisen wird dieses Bedürfnis befriedigt?

 

Verantwortung

 

 

Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit sind zwei der wichtigsten Eigenschaften.

Im besten Fall kannst du dich unbedingt darauf verlassen, dass dein/e Partner/in Absprachen einhält. Er hat gesagt, er holt die Tochter um 15 Uhr aus der Kita ab – du kannst unbesorgt am Meeting bis 18 Uhr teilnehmen. Er hat zugesagt, die Stromrechnung zu bezahlen – toll, darum musst du dich nicht kümmern.

Dein/e Partner/in ist notorisch zu spät?  Ärgerlich, aber das ist berechenbar; Hauptsache, sie zahlt die Rechnung, wenn auch 2 Tage später.

Um Sicherheit in einer Beziehung zu gewährleisten, muss  zunächst der Wille da sein, überhaupt eine verbindliche   Beziehung einzugehen. Daraus folgt die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Aber nicht für den Partner! – Sondern für die Beziehung. Verantwortung für das gemeinsame Leben. Das generiert Vertrauen beim Partner. Nur wer Vertrauen hat, empfindet Sicherheit.

Nur wer Sicherheit empfindet, hat das Bedürfnis nach

 

 Zuneigung

Die dritte Stufe der Maslow’schen Pyramide ist das Bedürfnis  nach Gemeinschaft, Zugehörigkeit zu einer Gruppe.  (Wir sind immer noch bei den Grundzutaten!)

Erst hier entsteht der Wunsch nach einer Zweierbeziehung; danach, was man von einer solchen erwartet: Zuneigung und Liebe.

Nur: Was ist Liebe? Vermutlich hat Liebe so viele Gesichter, wie es Menschen auf Erden gibt.  Liebe ist etwas universelles, und keineswegs nur etwas exklusives zwischen zwei oder mehreren Menschen. Jedoch ist das Bedürfnis nach irgend einer Form von Liebe ein menschliches Grundbedürfnis; Maslow nennt dieses Bedürfnis „Sozialbedürfnis“.

Der im deutschsprachigen Raum kaum bekannte amerikanische Familien- und Paartherapeut Bruce Fisher betrachtet Liebe gar nicht als Kriterium für eine stabile Beziehung. Für ihn ist viel entscheidender: wenigstens ein gemeinsames Interesse; er spricht sogar von Leidenschaft. Das kann die gemeinsame Leidenschaft für segeln, alte Fachwerkhäuser renovieren, Reisen in Ostafrika, Volkstanz oder was auch immer sein. Tatsächlich ist ein solches gemeinsames Interesse für jede Freundschaftsbeziehung eine Grundlage, und wenn die gemeinsame Leidenschaft zu dieser Sache gross genug ist, vermag sie in vielen Paarbeziehungen Liebe zu ersetzen und eine stabile Beziehung zu gewährleisten. Also kann man wohl annehmen, dass die dadurch entstehende Verbundenheit auch als eine Art Liebe ist.

Die nächste Stufe der Bedürfnispyramide ist

 

 

Wertschätzung und Anerkennung

Beides ganz wichtige Zutaten für eine Beziehung. Aus dem Grad der sozialen Anerkennung und Wertschätzung bezieht mensch sein Selbstbewusstsein. Es besteht  eine Wechselwirkung zwischen dem eigenen Selbstbewusstsein  durch die Wertschätzung, die mensch z.B. im Job , im Freundeskreis etc erfährt und der Wertschätzung, die man in der Beziehung dem/der Partner/in entgegenbringt. Je mehr Wertschätzung und Anerkennung mensch erfährt, desto mehr erlebt man sich als stark, kompetent; desto leistungsfähiger ist man – und desto zufriedener!

Maslow spricht bei den unteren Stufen seines Modells auch von defizitären Bedürfnissen. Das  heisst, wenn diese nicht erfüllt sind, erfährt der Mensch in seiner Entwicklung erhebliche Defizite. Erst die höchste Stufe der Pyramide bezeichnet er nicht mehr als Defizitbedürfnis, sondern als Wachstumsbedürfnis:

 

Das Streben nach Selbstverwirklichung

 

 

Das heisst, nur ein Mensch, dessen Grundbedürfnisse befriedigt sind, hat Ressourcen, nach Höherem zu streben.  Für eine Paarbeziehung ist  diese Stufe die Königsdisziplin: Wenn die Bedürfnisse beider Partner nach Sicherheit, Liebe und Wertschätzung so befriedigt werden, dass jeder sich selbst verwirklichen kann; seine ureigenen Lebensziele verfolgen kann.

Noch mal zusammengefasst: Eine Beziehung beruht auf  Verbindlichkeit, Zuneigung und Wertschätzung. Jede Art von Beziehung. Zwischen allen Menschen und überall.

Aber aus diesen Grundzutaten entsteht noch lange keine schmackhafte Mahlzeit!

Denn, so schön und stimmig die Bedürfnispyramide auch ist, handelt es sich um ein Denkmodell. Und in der Praxis ist die Ausprägung der Bedürfnisse sehr individuell mit riesigen  Unterschieden.

 

Unterschiedliche Bedürfnisse

Diese Unterschiede sind einmal grundsätzlicher Natur, z. B.  in Beziehungen zwischen Hochsensiblen und Normalsensiblen  finden sich aufgrund der unterschiedlichen Wahrnehmung und Reizverarbeitung meist gravierende Unterschiede.

Natürlich gibt es persönliche Unterschiede. Wie und ob diese sich auf das Beziehungsleben auswirken, wird auch oder vor allem durch früher erlebte traumatische Erfahrungen beeinflusst.

Schon bei Neugeborenen zeigen sich unterschiedlich ausgeprägte Bedürfnisse. Werden diese nicht voll befriedigt, können als Folge Persönlichkeitsstörungen entstehen, die sich im Erwachsenenleben massiv in Beziehungen auswirken. Je niedriger die Stufe, auf der das Defizit stattgefunden hat, desto verheerender die Wirkung. Sind schon die physischen Bedürfnisse nach Nahrung nicht befriedigt worden, sind diese Mängel kaum je im späteren Leben nachzuholen.  Mindestens aber führen nur mangelhaft befriedigte Grundbedürfnisse im Kindesalter nach Sicherheit, Liebe und Anerkennung dazu, dass diese beim Erwachsenen viel stärker ausgeprägt sind und ständig bestätigt werden müssen. Und in schwereren Fällen kommt es leider zur Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen; wodurch der Betroffene häufig weder diese Bedürfnisse beim Partner befriedigen kann, noch durch den Partner die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse annehmen kann.

Das kann sich auf der Bedürfnisstufe nach Sicherheit so äussern, dass man einerseits kein Vertrauen zum/zur Partner/in entwickeln kann und selbst nicht imstande ist, Verantwortung zu übernehmen; beispielsweise zuverlässig sein Kind von der Kita abzuholen: Der/die Partner/in ist extrem unzuverlässig.

Hochsensible Menschen haben typischerweise ein stärkeres  Sicherheitsbedürfnis  als normalsensible. Ausserdem sind sie nicht nur eher bereit zu einer verbindlichen Beziehung, sondern gehen oft tiefere Bindungen ein als NSM.

 

Die Problematik

Auf der Sicherheitsebene geht es um äussere Absprachen; das heisst, die Erfüllung dieser Absprachen ist nachvollziehbar. Viel schwieriger wird es bei der nächsten Stufe: Dem Bedürfnis nach Zuneigung und Liebe. Vermutlich ist hier das grösste Krisenpotential. Die Begriffsdefinition für  Liebe habe ich schon weiter oben angesprochen.  Dazu kommen hier die oft sehr unterschiedlichen Bedürfnisse von Hochsensiblen und Normalsensiblen.  HSM interpretieren Liebe häufig jedoch anders als NSM. Dadurch, dass sie sich mit der ganzen Welt verbunden fühlen, erleben sie Liebe als etwas Universelles. Oft empfinden sie in Beziehungen mit NSM, dass siederjenige Teil sind, der mehr liebt. Dass das so erlebt wird, liegt ganz unabhängig von der tatsächlichen Stärke der Liebe zum anderen daran, dass Gefühle und vor allem Liebe im Leben eines HSM meist eine sehr viel wichtigere Rolle spielt als bei NSM.

Im Gegensatz dazu ist häufig für NSM die Zugehörigkeit einer bestimmten Gruppe und Akzeptanz durch diese viel wichtiger als für HSM, welche es von Kindheit an gewohnt sind, Aussenseiter zu sein.

Vorprogrammiert sind Probleme in diesem Bereich, wenn einer oder auch beide unbearbeitete Traumata dieser Bedürfnisstufe mit in die Beziehung bringt. Die häufigsten Konflikte in diesem Bereich drehen sich um unterschiedliche Vorstellungen von

* Mehr dazu: Hochsensibilität und Paarbeziehung

 Der Hochsensible und der Narziss

Nähe – Distanz,  Freiheit – persönliche Einschränkungen

Der Übergang zur nächsten Stufe Wertschätzung ist fliessend. Maslow spricht auch vom Bedürfnis nach Anerkennung und Respekt. Innerhalb der Beziehung geht es hier vor allem  um den Kommunikationsstil, wodurch der/dem anderen Achtung und Respekt erwiesen wird.

Was macht einen guten Kommunikationsstil aus?

Kommunikation sollte immer gewaltfrei sein.

Das bedeutet:

Zuhören – und beim Reden bei Ich-Aussagen bleiben: „ich erlebe das so und so…“ Und bei Rückfragen: „ Ich habe dich jetzt so verstanden, dass…..“

Denn mensch neigt dazu, etwas in die Aussagen des anderen hineinzuinterpretieren und zu urteilen.

Zum Glück ist gewaltfreie Kommunikation ist etwas, was man  mit etwas Übung schnell erlernen kann, und die in allen Lebensbereichen und allen Beziehungen sehr hilfreich ist. Man darf völlig unterschiedlicher Meinung sein, aber durch gewaltfreie Kommunikation bringt man seinem Gegenüber Wertschätzung entgegen.

siehe auch: Kommunikation und Macht

 

Kommunikation

 

Kommunikation ist gewissermassen der Topf, in dem aus den Zutaten für eine Beziehung die Mahlzeit zubereitet wird. Also eine Grundvoraussetzung, ohne die auch die besten Zutaten nichts nützen.

Das gilt zwar für alle, ganz besonders aber für die Kommunikation zwischen Hochsensiblen und Normalsensiblen.

Denn im sozialen Umgang zwischen Hochsensiblen und Normalsensiblen ist ein häufiges Problem, dass der hochsensible Mensch überhaupt nicht verstanden wird, da seine Denkweise völlig anders ist. Als Bilderdenker sieht er das Ganze, und oft kann der Normalsensible nicht nachvollziehen, wie der Partner denn jetzt darauf kommt, weil es ihm völlig abwegig erscheint. Ich finde es hilfreich, mich in solchen Gesprächen in „Schnurdenken“ zu üben – also quasi das Bild in Details zu zerlegen und diese hintereinander aufzureihen. Das fällt mir nicht leicht, da ja ständig neue Bilder entstehen.

Vielen HSM ist nicht bewusst, dass Nicht-HSM anders denken. (Weshalb ich nicht müde werde, darauf hinzuweisen, dass genau diese andere Art zu denken, die andere Art die Wahrnehmungen zu verarbeiten, alles miteinander zu vernetzen, das entscheidende Unterscheidungsmerkmal ist zwischen Hochsensiblen und Normalsensiblen!) – Natürlich ist es empfehlenswert, in jeder Beziehung zu Nicht-HSM dieses Thema möglichst früh zur Sprache zu bringen; aber allein der Hinweis „ Ach übrigens, du solltest wissen dass ich HS bin“ ist nicht wirklich zielführend, da die meisten NSM wenn überhaupt nur äusserst unvollständige Vorstellungen über HS haben.

Umso wichtiger ist eine gute Kommunikation!

Damit ist eine Grundlage für eine gute Beziehung gelegt:

Verstanden zu werden. Miteinander reden und sich austauschen zu können.

 

Potentialentfaltung

 

 

Und damit kann man an den Feinheiten, sprich, der unterschiedlichen Ausprägung der Bedürfnisse arbeiten.

In einer stabilen Beziehung kann sich dann jeder der höchsten Bedürfnisstufe zuwenden:

Der Selbstverwirklichung, der Entfaltung seines persönlichen Potentials.

Im Idealfall findet ein Paar auf dieser Ebene ein gemeinsames Ziel, in dem beide sich verwirklichen können. Das ist allerdings keine Voraussetzung. Wichtig ist, dass jeder die Freiheit, sich innerhalb der Beziehung selbst zu verwirklichen.

Denn: persönliches Glück entsteht nicht durch die Beziehung; nicht durch das, was der/die andere gibt, sondern erst durch die Entfaltung des persönlichen Potentials.

Endlich da: Der Beziehungsratgeber für Hochsensible!

26.Mai 2021, 213 Seiten als TB und Kindle bei Amazon; als ePub bei Tolino

zum Buch:

siehe auch: Hochsensibilität, Hochempfindlichkeit

Bewertungen zu hauptsacheherzbewegt.de

2 Gedanken zu „4 wichtige Zutaten für eine Beziehung

  1. Hallo Jutta,

    interessanter Ansatz die Bedürfnispyramide mal auf eine Beziehung zu münzen und natürlich absolut naheliegend. Das mit HSM und NSM zu verknüpfen gibt der ganzen Sache eine interessante Richtung und ist natürlich eine sinnvolle Betrachtungsweise.

    Danke,
    Gerd

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